Platz 31C braucht eine Kotztüte!

Gerade sitze ich im Flieger. „Der Start verzögert sich um etwa 10 Minuten“, lautet die Begrüssung, gefolgt von einem tief blickenlassenden Gähnen der Stewardess. Wir sind heute der letzte Flug der Crew und ich merke schon, sie sind gewillt, nochmals alles zu geben. Inklusive eines unschlagbaren Angebots: 50 % auf alle Sandwiches. Wer da nicht zugreift, ist selbst schuld.

Soeben wurden wir darauf hingewiesen, dass wir das Bordpersonal doch bitte informieren sollen, droht eines unserer mitgebrachten Geräte heiss zu laufen oder gar zu explodieren. Höm …okeeyyyyy.

Ich hasse das Fliegen. Früher war es mir egal. Scharf darauf war ich noch nie, aber es hat mich schlichtweg nicht interessiert wo ich rumsitze und mich langweile. Seit meinen letzten Flügen ist das anders. Schon beim Boarding läuft mir die süsse Angst im Mund zusammen, der Kreislauf verabschiedet sich, bleibt lieber auf der Erde zurück. Es setzt Schüttelfrost in Kombi mit Kaltschweiss ein und würde ich auch nur einen Mucks oder eine ruckartige Bewegung wagen, müsste die Kotztüte ihren Job erfüllen.

Leider Fehlanzeige beim heutigen Flug, denn es gibt keine. Ich habe sicherheitshalber auch die Sitztaschen meiner Nachbarn durchsucht, aber nichts. Dies ist ein kotzfreier Flug. Verdammt, dabei wäre ich gerade so in Stimmung.

Um mich abzulenken, die 10 Warteminuten sind noch nicht um, bestalke ich meine Mitflieger. Die friedhöfliche Kabinenbeleuchtung sorgt dafür, dass ich prima auf allen Handyscreens mitschauen kann. Samstagabend, 20.15 Uhr, die Primetime zum Filmchen gucken. Und genau das machen hier pro Dreierreihe auf alle Fälle mal zwei. Twitch live aus’m Fitnessstudio, Schminkanleitungen werden aus China übertragen und der Typ schräg vor mir chattet mit Bild (also Schreib-Skypen). Immerhin die Mutti mit Kopftuch daneben widmet sich Sinnvollem, nämlich einem Deutsch-Lernspiel.

Die Flugbegleiterinnen haben sich zur Safety-Show formatiert und warten auf ihren Einsatz. Unser hochmotiviertes Exemplar hier hinten in der Klo-Reihe gähnt nochmal genüsslich wie ein Löwe, bevor sie uns zeigt, wo wir reinblasen müssen, um im Meer zwischen Zürich und Berlin auch nicht abzusaufen. Das nimmt dir doch glatt die Angst.

Aber wie gesagt, das Fliegen ist mir eigentlich egal, ich hab’s ja nicht in der Hand und das Ticket habe ich tatsächlich freiwillig und selbst gebucht. Ich setze alle Hoffnung in die Kompetenz der müden Piloten, die die Strecke heute sicherlich schon so oft geflogen sind, wie die lapprigen Sandwiches. Mein Angstauslöser: Ich bin, auf engstem Raum, eingesperrt mit einer Horde von Idioten. Reihe 26 packt gierig sein Maxi-Menü aus, Reihe 29 öffnet die 2. Dose Bier, ein anderer geht schon vor dem Start aufs Klo und bleibt verschollen und dazwischen führt der ein oder andere ein unheimliches Selbstgespräch mit Gesichtsentgleisungen. Sowieso macht hier irgendwie jeder, was er will. Selbst die Stewardess hockt jetzt in der Ecke auf ihrem Notsitz und liest die russische Gala. Sollte ich beim Start panisch zusammenbrechen, möchte ich bitte von der Kopftuch-Mutti in Kittelschürze wiederbelebt werden. Von allen macht die den kompetentesten Eindruck. Oder Reihe 26 soll mir ein paar Pommes in den Mund schieben. Die Saftschubse – heisst das überhaupt so auf einem Billigflug, denn Saft gibt es ja gar nicht? – darf mir dann beim Kotzen die Haare halten. Sie sieht aus, als hätte sie damit Erfahrung. Zum Nachspülen bekomme ich dann sicher was von ihrem Wodka.

Aus dem Handy neben mir sind wir nun live in einen Club zugeschaltet, ja, irgendwo ist gerade immer eine wilde Party, die wir verpassen.

Meine Flugangst hat tatsächlich nichts mit Flugzeugen zu tun, oder mit der geringen Gefahr des tiefen Falls aus den Wolken. Vielmehr ist es der gesellschaftliche Absturz, der mir die Essensreste der vergangenen Stunden in die Backen jagt und mir schwindlig vor Augen werden lässt. Eingeschlossen mit einer nicht von mir getroffenen Auswahl an Psychos, irgendwo im Himmel der augenrollenden Stewardess ausgeliefert zu sein, gepaart mit Pommes-Schweiss-Aromen und im imaginären Beat nickenden Sitznachbarn ist wirklich nicht mein Wunschprogramm für den Samstagabend. Dann doch lieber die Frühlingshitparade der Volksmusik mit Hansi und Helene, denn die geben tatsächlich alles und anschliessend empfange ich das Wort zum Sonntag. Amen!